「sicilian encounters 」
October 2023
|
[1]
»The photon that traverses the optical glass and alters the halides of the film is not really a substance and it does not produce an impact«, Henri van Lier writes. »It carries energy, but has no mass. Indeed, we can also see this when after sunbathing we carry the marks of the bathing suit, transforming us into photograms. The weightlessness of photons endows their inscriptions with a striking weightlessness, almost an immateriality. Tanning is not a form of make-up.« |
When it comes to printing, as you might expect, things get ›heavy‹: with a thermal printer, it’s easy to turn ›weightless inscriptions‹ into materialized, yet even more abstract patterns. Roughly speaking, these marvelous machines ›translate‹ light information into heat. By ›molding‹ or ›melting‹ the darker areas of the image out of the paper’s thermochromic coating, revealing the black hue, the parts of the film that were previously struck the least by photons become, of all things, the darkest and ›hottest‹ spots of the thermal print. At the same time, by reducing the information encoded in the film grain to a rather coarse grid, the printer stages a choreography of hot, dancing dark dots that both fuel and frustrate our inescapable desire to see things clearly.
|
[2]
Obviously, this technique is anything but ›immaterial‹. To some degree, it resembles etchings or even tattoo needles poking paint into the skin. The resulting images are unstable and (arguably) far less durable than an Instagram post. Nonetheless (and probably because of this), thermal prints are widely used for documentation purposes: Receipts for your recent purchases are printed on thermal paper. In the 1990s, there was even a Game Boy printer that allowed you to materialize and ›immortalize‹ your gaming adventures in snapshots or print out your favorite Pokemons. The prints were meant to be circulated. They were meant to ›stick‹. They didn’t. And they don’t. Sometimes they fade, sometimes the image darkens with further exposure to heat, obliterating the initial ›weightless photonic inscription‹. Then it’s not a local tan that disappears, but a strong and permanent burn over the entire body. Once again, the photographic image reveals its paradox double intent: the deep need to preserve and the deep need to forget at the same time. As temperature rises, information is replaced by noise. |
|
June 2023
|
1997, ein knappes Jahr vor dessen Tod, fotografiert Stefan Moses Ernst Jünger in Wilfingen. Im Garten sitzt Jünger auf einem billigen Plastikstuhl. Moses löst aus. Dreimal. Wahrscheinlich häufiger. Aber am Ende werden es drei Bilder. Ein Triptychon. Moses und Jünger. Moses ist natürlich nicht drauf auf den Bildern. Dafür eine Schildkröte. Jüngers Schildkröte. Es sind Bilder einer Schildkrötenbeobachtung. Auf dem ersten: Jünger mit Abstand, eine Lupe in der Hand, die Schildkröte am andern Ende des Gartentisches. Auf dem zweiten Jüngers hundertzweijährige Hände, wie sie der Kröte am Panzer nesteln. Ein Finger fährt drunter, dort wo sonst das rechte Vorderbein ist. Jüngers Mittelfinger wird zum Schildkrötenbein, seine harten breiten Fingernägel zu Hornschilden. Auf dem dritten Foto hält er sich die Kröte vors Gesicht. Ihr Rückenpanzer verdeckt Augen, Nase, Mund. Wo er Jüngers hundertzweijährigen Blick hätte treffen können, gleitet der Blick des noch nicht hundertzweijährigen Betrachters über die verhornten Wirbel- und Rückenschilde, gleitet über die Hinterbeine der Schildkröte, die mit Jüngers Unterkiefer wie bezahnte Lefzen verschmelzen. Jüngers Gesicht ist auf keinem der Fotos zu erkennen. Seine Schildkröte heißt Hebe. Wie die Göttin der Jugend.
|
Alexander Kluge schrieb einen Text zu diesen Fotos. In diesem Text geht es nicht um die Fotos. Es geht auch nicht um Jüngers Gesicht. Eher schon darum, dass es nicht zu sehen ist. Es geht um eine Beerdigung, die Beerdigung eines hundertzweijährigen Mannes. Und es geht um die Schildkröte. Mit dem Tod des Hundertzweijährigen, so beklagt ein Franzose am Grab, gehe »eine Erfahrungswelt zugrunde«. Er glaube nicht mehr, dass es je »einen Erfahrungstransfer über die Generationen hinweg geben werde«. Überhaupt sei das Gedächtnis, das sich im Verstorbenen verkörpert habe, längst auf die Dinge übergegangen: »In der modernen Rüstung eines Eurofighters oder eines Raktenabwehrsystems war mehr von den Spuren von 1914–1918 eingebaut, als in den Köpfen der jüngeren Trauergäste«.
|
Die Spuren, die der Franzose »in den Köpfen« der Jüngeren nicht mehr »eingebaut« findet, verbaut das Foto vor Jüngers Kopf. Es dringt kein Blick durch den Panzer der Schildkröte. Die »Erfahrung«, deren Spuren sich aus Jüngers Gesicht lesen ließen, ist verpanzert. Ausgebaut in den Panzer, in den sich Jünger vergeblich hineinfingert.
Jünger ist beileibe nicht der Erste, der der Kröte unter den Panzer wollte. Er ist nicht der Erste, der sich in eine Schildkröte verwandelte. Nicht der Erste, der mit der Lupe auf sie losging. Das Reich der Schildkröte ist eine Spiegelwelt, eine Unterwasserwelt und – bei Sonnenwetter – eine helle Kammer, in der nichts ist, wie es scheint: »Der Schildkröten Speise«, weiß dreihundert Jahre vor dem hundertzweijährigen Jünger Zedlers großes Lexikon, »ist ein gewisses Gras, so auf dem Meeresboden wächset, und weil das Wasser helle, ist es bey stillen Wetter eine Lust, sie daselbst weyden zu sehen«. Die Schildkröte: ein Unterwasserschaf, das weidet. |
|
Am liebsten mag das Lexikon sein Krötenschaf indes nicht weidend am Meeresboden, sondern gekocht, angerichtet mit »grüner Petersilie«. Dann schmeckt es »wie Rindfleisch«: »Das Fett ist wie das Marck von Kälbern, und weil es grün, machet es auch, daß man grün darnach harnet.« Den, der von ihr kostet, formt und färbt die Kalbsschafkröte nach ihrem Bilde, macht ihn – wie Jüngers Mittelfingerkrötenbein – sich selbst gleich. Farblich sind Mensch und Kröte am Ende der Einverleibung nicht zu unterscheiden, selig vereint in urinöser Grünheit. Dabei ist die Kröte – und das wusste eine Zeit, die zu Tieren noch gar grausam war, beklagenswert genau – nicht totzukriegen: Schildkröten »haben ein sehr hartes Leben, so gar, daß sie auch nach abgehauenen Kopfe und heraus geschnittenen Hertzen lange Zeit noch ihr Leben durch ihre Bewegung zeigen.« Kopflos und grün bis hinter die abgeschlagenen Ohren speichert sie Spuren von Leben, die sie vor den Kopf gehalten, nicht gestoßen – vor Jüngers Kopf gehalten – unlesbar macht.
|
Langsamer als die unsterbliche Schildkröte sind nur die Wasserbären. Deswegen heißen sie auch so. Tardigrada. Langsamschreiter. Schmiegfüßig gleiten sie über die Mooskissen. Und sind dabei so klein, dass man sie mit bloßem Auge kaum sehen kann. Auch vors Gesicht halten kann man sie nicht gut. Dafür bewahren sie »Erfahrungen« besser als Eurofighter, Raketenabwehrsysteme und Schildkrötenpanzer. Unter widrigen Umweltbedingungen trocknet sich der Wasserbär in einen kryptobiotischen Zustand, in dem er Jahrzehnte überlebt. Danach entfaltet er sich wieder, nimmt Form an und schreitet. Und schreitet.
Zwar kann man ihn auch fotografieren, man muss es aber nicht. Interessanter ist der fantastische Wasserbär, den sich die KI überlegt hat: Die »Erfahrungen«, die sich im kryptobiotischen Wasserbärenkörper ablagern, sind hier ganz die »Erfahrungen« des kollektiven Bildarchivs. Es ist das dehydrierte Phantasma eines scheintoten Lebewesens. Hätte Jüngers französischer Beerdigungsgast das nur geahnt. Soviel Leben war noch in keinem Foto. |
langsamschreitender Wasserbär [Quelle: baertierchen.de]
|
「attempt at forming squares instead of circles around a stone falling into the water」
February 2023
「narrow frames」
「live around the bunker」
February 2023
|
Due to its strategic importance as a naval base during World War II, Wilhelmshaven has a particularly high density of bunkers. While the city with its civilian architecture has grown around these bunkers in recent decades, the facilities have largely fallen into disuse. Today they look like foreign bodies in the cityscape, traces, scar tissue of a past that was thought to be closed.
|
「those summers」
February 2023
|
「mapping utopia」
November 2022
In 1970, British geographer Brian R. Goodey read Thomas More’s »Utopia«, collecting topographical descriptions and statistical data from the early modern text. In his attempt to create a map of the island, he made an interesting observation: »A circle with a circumference of five hundred miles cannot contain a diameter of two hundred miles.« Utopia cannot be mapped.
|
|